Review | By Curt Cuisine / skug – Journal für Musik
Hail to the Sound!
Eine kurze Würdigung des deutschen Gruenrekorder-Labels.

Unlängst versuchte ich drei PhilosophiestudentInnen zu erklären, über welche Art von Musik ich beim skug schreibe. Witzigerweise gibt es bei so einer Gelegenheit einen Satz, der immer fällt, egal wo und in welchem Milieu: »Das ist für mich keine Musik mehr!« Mit einem Unterschied allerdings. Als strammer Intellektueller ist man einsichtig und sofort bereit über die Definition von »Musik« zu reflektieren, während man andernorts die Grundaussage noch mit einem »So a Schas!« unterstreicht. Eines meiner Lieblingsbeispiele für »So an Schas« ist die CD »Swiss Mountain Transport Systems« von Ernst Karel, 2012 beim deutschen Label Gruenrekorder erschienen. Wir hören auf neun Tracks neun verschiedene Formen von Bergtransportsystemen. Track 4 etwa präsentiert die viersitzige Gondelbahn von Graubünden. Wir hören den Wind, das Knarzen der Gondel und bei jeder Strebe das Rattern über die Rollen. Mmh, ein Genuss.

 

Ist das noch Musik? Darum geht es nicht. Woher die seltsame Erwartungshaltung, dass auf einer Silberscheibe oder auf Vinyl auf jeden Fall »Musik« zu hören sein muss? Hörbücher gibt es ja auch, oder? Aber das ist natürlich die falsche Fährte, hier geht es um Töne, Klänge, Sounds um ihrer selbst willen bzw. als Kunstform. Um diese Kunstform zu fördern, wurde 2003 das deutsche Gruenrekorder-Label von Roland Etzin und Lasse-Marc Riek in Frankfurt am Main gegründet. Das geschah nicht aus heiterem Himmel, sondern man stützte sich auf eine hübsche Reihe von Referenzen, die von Moondog über Bernie Krause, Walter Tilgner, Bill Fontana oder Ultra Red bis zu den Einstürzenden Neubauten oder Autechre reichen. Natürlich dürfen auch John Cage oder La Monte Young als geistige Väter nicht fehlen, wenn es darum geht, den Klang (bzw. Sound) als eigenständiges Phänomen zu betrachten, ihn sozusagen vor aller Musik in sein Recht zu setzen. Und da man mittlerweile gut vernetzt ist, etwa mit dem World Forum For Acoustic Ecology, Phonography.org, The Wildlife Sound Recording Society oder Ear to the Earth, hat sich Gruenrekorder mittlerweile eine hübsche internationale Reputation erworben – was natürlich nicht zuletzt auch an der stringenten Veröffentlichungspolitik liegt.

 

Field recordings in Reinkultur
Aber es ist nicht alles nur Tondokument. Gruenrekorder unterscheidet zwischen field recordings, soundscapes und sound art, wobei reine field recordings meist auf ein bestimmtes Terrain beschränkt sind. So veröffentlichte Lasse-Marc Riek 2013 etwa eine CD namens »Helgoland« auf der Brandung, Lummenfelsen, Küstenseeschwalben oder Dreizehenmöwen zu hören sind. Christina Kubisch und Eckehard Güther wiederum präsentieren auf »Mosaïque Mosaic« unterschiedlichste Soundschnipsel aus Kamerun, von der Metallwerkstatt über den Straßenmarkt bis hin zur Morgenatmosphäre. Oder, um noch ein anderes Beispiel zu nehmen, 2012 marschierte der Amerikaner David Michael auf »The Slaughterhouse« mit seinem Mikrophon durch eben ein solches. Penibel wurde in den Liner Notes notiert, dass man an dieser und jener Stelle die verendenden Tiere hören könne. Man sollte sich dennoch keinen naturalistischen Hörkrimi darunter vorstellen, auch hier ist ein Aspekt der musique concrète ganz wesentlich, die Trennung des Klangs von seiner Quelle und die sich dadurch eröffnenden Reinterpretationsmöglichkeiten für die HörerInnen.

 

Unter soundscapes wiederum präsentiert das Label Bearbeitungen von field recordings, etwa »52°46’ North 13°29’ East – Music for Wax-Cylinders« von Eva Pöpplein und Janko Hanushevsky aka Merzouga. Für diese Arbeit wurden historische Wachszylinderaufnahmen aus dem Archiv des ethnologischen Museums in Berlin (etwa aus Mexiko, Ungarn, Ägypten, Bali etc.) als Grundlage für eine elektroakustische Komposition und Improvisation genommen. Auf ähnliche Weise umspielt Daniel Blinkhorn auf »Terra Subfónica« verschiedenste Naturgeräusche mit zusätzlichen instrumentalen Soundquellen. Aber während Pöpplein und Hanushevsky in ihrer Bearbeitung eher auf die Eigenheiten des Tonmaterials (z. B. das enorme Knistern) reagieren, um dieses dadurch noch mehr zur Geltung zu bringen, lässt sich Blinkhorn von den vorgefundenen Sounds kompositorisch inspirieren.

 

Burmese Days
Irgendwo dazwischen befindet sich »Burmese Days« von Peter Kutin, basierend auf Tonaufnahmen aus Myanmar im Jahr 2012. Mit Hilfe von dieb13 (electronics & turntables) und Berndt Thurner (burmese metallophones) wandelt Kutin sein originales Soundtagebuch in ein Soundessay um, das für Gruenrekorder-Verhältnisse fast schon ungewöhnlich eingängig und soundmalerisch ist. Eine bemerkenswerte Veröffentlichung, die auf jeden Fall näher an der Elektroakustik denn an der Phonographie bzw. Tonaufzeichnungskunst ist. Was vermutlich auch daran liegt, dass Kutins Aufnahmen ursprünglich für ein Radiofeature verwendet wurden, was den Wiener aber wenig zufrieden stellte. So kam es zunächst zur akustischen Ergänzung durch die burmesischen Metallofone (die Teil der Musiksammlung des Wiener Radiosymphonieorchesters sind), die von Kutin als Leitelement zur Strukturierung der Aufnahmen eingesetzt wurden. Für die Einspielung auf LP kam dann Dieter Kovačič aka dieb13 ins Spiel. So uneinheitlich dieser Entstehungsprozess auch wirkt, das Resultat wirkt äußerst stringent und konzise. Aber vielleicht eben auch darum, weil der Schritt von Geräusch zu Musik im Prinzip nur ein minimaler ist. Es genügt, Geräusche zu arrangieren, schon sind wir mitten drinnen in der Musik.

 

Die Begriffsfelder hier sind ohnehin weit und oft kaum abgrenzbar. Was etwa trennt die Sparte sound scapes von der Sparte sound art? Schwer zu sagen, außer das sound art bei Gruenrekorder offenbar unter dem Motto »künstlerische Ermittlungen in Sachen Sound« steht? Exemplarisch ist hier etwa zuletzt mit »Terra Prosodia« von Antje Vowinckel eine Arbeit erschienen, die sich mit dem Verschwinden von Sprachen und Dialekten auseinander setzt. Definitiv ein löbliches Unterfangen, aber zum Abschluss gehen wir noch einmal zurück zu den field recordings bzw. zu einem Beispiel für die fröhliche Kompromisslosigkeit des Labels. Gemeinsam mit seinem Kollegen Christoph Korn gibt Lasse-Marc Riek auch eine »Series Invisibles« heraus, von der es bereits zwei Ausgaben gibt. Dabei handelt es sich um ein CD-Booklet – allerdings ohne CD. Denn im Booklet vermerkt sind Aufnahmen, die später wieder gelöscht wurden. Wer das Booklet durchblättert hört trotzdem etwas, nämlich the sound of imagination. Oder, wenn man so will, musique concrète in Reinkultur.

 

Das Label gibt auch eine Fachmagazin heraus, zu finden unter
https://www.gruenrekorder.de/fieldnotes/
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich dieser Text auch auf Infos aus diesem Interview stützt
http://www.kunstradio.at/PROJECTS/CURATED_BY/USS/interview.html