Befreit die Maschinen | Hannes Seidl
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Gruen 211 | Audio CD (+ Digital) | Digital > [Bestellung]
Rezensionen
Das Versprechen war lange Zeit, dass Maschinen uns von der müßigen Arbeit befreien. Sie sollen uns die Schufterei abnehmen, so dass wir uns den schönen, angenehmen und erhabenen Dingen zuwenden können. Und Musikmaschinen haben lange das Versprechen mit sich getragen, dass sie allen ermöglichen, Musik zu machen. Jede Musik, die erdacht und geträumt werden kann, soll erklingen können. Aber weder arbeiten die Menschen heute weniger, noch ist die Faszination am echten Virtuosentum verschwunden. Im Gegenteil scheint die Möglichkeit einer Welt, in der die Apparate unsere Grundbedürfnisse befriedigen, heute fast schon als naiver Traum. In seinem Radiostück hört der Frankfurter Komponist Hannes Seidl den Maschinen zu. Was ist aus dem Versprechen geworden? Verschiedene Computerprogramme erzeugen die Klänge, von denen Seidl selbst „nur“ noch auswählt, welche von ihnen es in das Stück schaffen. Mit „Befreit die Maschinen“ verschiebt er das Musizieren vom Virtuosentum hin zu einem „nachdenkenden Zuhören“. Diesen automatisierten Klängen stehen Ausschnitte aus einem Vortrag des Philosophen Michael Hirsch gegenüber. Dieser macht sich Gedanken um die Frage nach einer Gesellschaft, in der Lohn und Arbeit voneinander entkoppelt sind. Zentral für Seidls Stück ist Hirschs Forderung „weniger Arbeiten, damit alle arbeiten und besser leben können“.
Komposition, Produktion: Hannes Seidl
Alle Texte sind Ausschnitte aus dem Vortrag „Die Überwindung der Arbeitsgesellschaft.
Eine politische Philosophie der Arbeit“ von Michael Hirsch, Leipzig 19.11.2016
Redaktion: Stefan Fricke
Gestaltung: Marc Behrens
„Befreit die Maschinen“ ist eine Auftragskomposition von hr2-kultur,
© Hannes Seidl 2021
Exzerpte:
1 Track (42′10″) | Hörspiel
CD (300 copies)
Sound Art Series by Gruenrekorder
Germany / 2023 / Gruen 211 / LC 09488 / GEMA / EAN 196925685191
Frans de Waard | VITAL WEEKLY
One of the things I remember from reading scientific magazines for kids in the seventies was the thing about machines that would make life easier, freeing us from stupid jobs. The future has arrived, and yet we seem to be slaves of devices, looking at our phones or using AI to answer a question for us (or worse, to be honest – I have not yet gotten a review from AI that I liked). Hannes Seidl uses excerpts from German that translates as „Overcoming the Labour Society. A Political Philosophy of Labour“ by Michael Hirsch, from 2016. Seidl has various bits of software, none specified, to generate sounds, and they go along with the computer-processed sound from the lecture. Seidl selects which becomes part of the piece, so it’s not entirely machines taking over; perhaps, as predicted: machines do not easily take total control (I admit I only follow such developments when handed in my newspaper; I don’t dig deeper). The piece is forty-two minutes and was commissioned for radio. The lecture part is completely lost on me, even when my German is quite alright, but that might not be a problem. I would think it is all rather about the music as a whole, and as such, the piece is quite nice. In some odd way, something that reminded me of computer music from the earlier part of the century; this release would have fitted the later catalogue of Ritornell quite nicely; computer music and a philosophy theme. It’s not about playing carefully constructed compositions but making quick choices about what happens next in the piece and letting it continue before doing a new intervention. Not at all delicate, which is another excellent feature; some of this reminded me of a machine world, all lively and working over time. That’s how we like machines best.
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Rigobert Dittmann | Bad Alchemy Magazin (120)
Mit „Stadt Land Fluss“ war HANNES SEIDL bereits auf Gruenrekorder. Als freier Kompo- nist – „We Can Be Heroes“, „Six Pieces to guide you through the Night“, „21 Songs in a Public Surrounding“ – und Musiktheatermacher – „LIEBE“, „ingolf“, „Die Flexibilität der Fische“ – in Frankfurt hat er da ja auch einen kurzen Draht. Ebenso zum Hessischen Rundfunk/hr2-kultur, mit etwa „Das Wetter in Offenbach“, „Good Morning Deutschland“, „selbstLAUT“. Oder Befreit die Maschinen (Gruen 211), als Radiostück, das um die Forde- rung des Philosophen Michael Hirsch kreist: „weniger Arbeiten, damit alle arbeiten und besser leben können“. Hirsch denkt über die Überwindung der Arbeitsgesellschaft nach, darüber, wie sich Arbeitszeit vermindern, Lohn und Arbeit entkoppeln, Reichtümer ver- teilen lassen. Seidl verschiebt den Fokus von virtuosem Selbermachen zu einem ’nach- denkenden Zuhören‘ und praktiziert das, indem er aus computerklanglichen Vorschlägen auswählt. Da spielt schon ein weiterer Vorschlag von Hirsch mit hinein: Ich muss als Ein- zelner sozusagen so tun, als ob es auf mich ankäme, als ob ich Spielräume hätte, um ein anderes Leben zu führen als das herrschende. Im falsch Bestehenden dem anders Mög- lichen, im Molarem dem Molekularen vorgreifen, selbstbestimmt und zugleich im kantia- nisch imperativen Sinn und auf einladende Weise modellhaft. Doch so wie die neolibera- listische, sadomasochistisch verfestigte Unterordnung des emanzipatorisch Politischen unters Diktat des Ökonomischen kaum mehr aufzuheben scheint, bleibt auch Hirschs Plädoyer dem Diktat elektronischer Granulationen und gepixelter Bombardements unter- worfen. Als gedehntes Gurgeln, verzerrtes Raunen, nicht ernst zu nehmendes Babbeln, ausgeleierter Loop, übertönt von plattrigem Sirren, anhaltendem Dröhnen, Noise in Wellen und in knarzigen Teilchen. Dazu kommt Artwork mit leerem Papier… Als wollte Seidl einen nochmal mit der Schnauze ins Falsche und in die Ohnmacht und Konfusität der Kritik da- ran tunken wie Welpen in ihre eigene Pisse, um nachdrücklich spüren zu lassen, worin unsere Aufgabe besteht? Oder ist es bereits zu spät, wenn am Polit-Pol faschistoide Cä- sarenfressen und reaktionäre Volksverhetzer bejubelt und am Innovations-Pol ‚befreite Maschinen‘ propagiert werden, die immer besser dichten, denken und fälschen und die Superreichen nur noch reicher machen? Während ‚wir‘ Überflüssigen als Bio-Batterien in der „Matrix“ das Glück der letzten Menschen finden und blinzeln werden?
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Guillermo Escudero | Loop
The German composer Hannes Seidl works in different fields such as electroacoustic music, experimental cinema, contemporary classical music, radio, sound installations, video and musical theater. “Befreit die Maschinen” (“Liberate the Machines”) is an electronic music composition consisting of a single 42-minute track of sounds generated by computer programs. Seidl selects the sounds that will be included in the piece, to which samples from a conference by the philosopher Michael Hirsch are included. He declares the maxim: “less work so that everyone can work and live better.” This is linked to the idea of some scientists that robots or machines will replace the human being in those more mechanical or undesirable jobs, so that he can dedicate themselves to leisure, culture and social relations. The afore mentioned maxim is not yet fulfilled, but rather, on the contrary, society fears that robots will cause unemployment and leave it totally defenseless. In this sound design, a wide variety of glitches, noise clouds, static, clicks, twisted voices, and saturated sounds are combined, some of them unidentified, evoking amorphous images.
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