Musik als Leibesübung 1993 - 2009 | Uwe Rasch

 

Musik als Leibesübung 1993 – 2009 | Uwe Rasch
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Er: Werden Sie eine klare Frage beantworten?
Mathers: Das werde ich nicht tun
Er: Werden Sie sich weigern, eine klare Frage zu beantworten?
Mathers: Nein, das werde ich nicht tun
(Flann O’Brien: Der dritte Polizist)

 

Studie über Abstürze (1)
In den künstlerischen Arbeiten von Uwe Rasch spielt Körperlichkeit die zentrale Rolle.
Für den Bremer Komponisten lassen sich ästhetische Fragen – und mit ihnen ganz allgemein Haltungsfragen – vor allem über die physiologische Dimension der Klangerzeugung und die Intensität von Artikulation thematisieren – beides interessiert ihn als theatralischer Aspekt. Die Geschichte des Körpers ist die Geschichte seiner Funktionalisierung, sagt Uwe Rasch. Die Subjekthaftigkeit des Körpers ernst zu nehmen, bedeutet etwas anderes: konkrete Empfindungen, andere Zeiterfahrungen, Korrespondenz von Innen- und Außenraum, Erleben und (körperliches) Erinnern, zielloses Agieren. So sind für den Komponisten jede musikalische Aktion und die in ihr aufgehobene Symbolik eng verbunden mit der physischen (Zeit)Dimension. In der Flüchtigkeit der Bewegung sieht der Komponist eine Analogie zur Flüchtigkeit der Musik, beide Künste sind konstitutiv verbunden mit dem Verstreichen von Zeit.
In seinen Stücken thematisiert Uwe Rasch das Problem von Kommunikation. Es geht um das Erleben von Sprachlosigkeit und den Versuch ihrer Überwindung. Dem liegt auch die Erfahrung zugrunde, dass sich traditionelle expressive Muster für den Ausdruck unserer widersprüchlichen Wirklichkeit zunehmend als ungeeignet erweisen. Der Komponist setzt dagegen eine Arbeitsweise, die stark konzeptuell ausgerichtet ist. Dem Entwurf der Szenerie gilt sein besonderes Augenmerk. Oft machen bereits Idee und Gestaltung der Bühnensituation weite Teile seiner Stücke aus. Die Stücke gleichen Versuchsanordnungen, deren Kern bereits in den Ausgangskonstellationen sichtbar wird. Diese sind zuweilen wundersam, paradox oder abstrus. Doch geht es Uwe Rasch nicht um Provokation schlechthin. Vielleicht kann man sagen, dass er eher defensive Strategien verfolgt, um die Absurditäten, Widersprüche und Ungereimtheiten unserer Wirklichkeit erfahrbar werden zu lassen. In jedem Fall geht es um einen Zustand aktiven Beobachtens.
„Mal vu mal dit“ („Schlecht gesehen schlecht gesagt“) heißt es bei Beckett(2) und bei Adorno steht: „das lax Gesagte ist schlecht gedacht“. Noch davor stellt sich jedoch das Problem, dass es Erfahrungen geben kann, für die es zunächst gilt, überhaupt erst eine Sprache, vielleicht sogar zuerst die eigene Stimme zu finden. Uwe Rasch greift sehr weit zurück und setzt bei einer Kunst an, die mit ihrer ganzheitlichen Ausrichtung in rituelle Handlungen mündet. Oft verlangt er den Interpreten isolierte Körperaktivitäten ab, gezielte Überforderungen und Bewegungsverselbständigungen. Mechanisierung der Bewegung fungiert als Synonym für Entfremdung und Erschöpfung, die in einer stereotypen Haltung ihren Ausdruck findet. Der Musiziervorgang ist somit als Geste, Szene, Theater und damit als energetisches, drei- bzw. mehrdimensionales Geschehen im jeweils konkreten Raum aufzufassen, bei dem die Schnittstelle zwischen Unbewusstem und Bewusstem berührt würde. Das heißt auch, Betonung der physischen Präsenz, des Einmaligen, Unwiederbringlichen, das Kreatürliche als Eingriff in systemisches Denken und damit in sichernde Formanlagen und Strukturen; die Erschöpfungen, Verletzlichkeiten, Rauheiten des Leiblichen als Arbeitsfeld mit aufzugreifen, ohne einer naiven „Zurück-zur-Natur“-Vorstellung zu verfallen, die selbst nur ein Denkbild ist.
Uwe Rasch bewegt sich in seinen Stücken gerne auf mehreren Ebenen, in verschiedenen Dimensionen. Durch Zuspielungen können weitere Bedeutungen – oft sind es literarische Bezüge – eingeführt werden. Den einzelnen Ebenen entsprechen unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten, die den Eigengesetzlichkeiten des jeweiligen Metiers (Musik, Film, Tanz) folgen, denn auch die Teilbereiche der sinnlichen Wahrnehmung haben ihre eigene Vollständigkeit. Der Komponist arbeitet mit Analogiebildungen und Kontrasten, medialen Abbildungen und Übersetzungen, Umlenkungen, Visualisierungen, Projektionen und Paradoxien, die den Betrachter in die Lage versetzen, die Zusammenhänge über Umwege zu verstehen. Durch seine metaphernreiche Kunstsprache knüpft er ganze Netzwerke von Bedeutungen, in denen sich das Publikum durchaus verstricken soll: der Symbolgehalt der Bilder, die literarischen und theatralischen Konnotationen sowie die rituelle Emphase, mit der die Kunststücke zelebriert werden, sollen verwirren. Sie bilden einen jeweils eigenen „Schauplatz“, an dem sich Bild-, Musik- und Körper-Sprache amalgamieren. Uwe Rasch interessiert das verborgene Wissen, das in der Bewegung sichtbar wird, gewissermaßen als Prüfstein für ihren sedimentierten Wahrheitsgehalt. Wäre überhaupt noch und wenn ja wie eine Einheit der Persönlichkeit aus Körper- und Subjektempfinden denkbar in einer Welt, in der Zusammenhänge immer mehr separiert werden?
Carolin Naujocks

 

(1) Uwe Rasch: „flatter“. Studie über Abstürze für Pianistenkopf und kaltes Feuer
(2) Uwe Rasch: Adieu des Adieus.

 


 

CD Korridor (1992-94)
Eine Produktion von Radio Bremen
MP3

 

1 Track (58′51″)
CD (500 copies)

 

DVD Stücke 1993-2009
1 Mit meinem Patent … 6’14
2 …, wenn ich mit der Hand … 4’09
3 pour 1’10
4 Leni entdeckt den Himmel 10’17
5 Also könnte ich … 19’08
6 Adieu den Adieus … 12’16
7 trasse 9’48
8 flatter 9’21
9 hab et swa is ait en 28’45

 

 

 

9 Tracks (111′08″)
DVD (500 copies)

 

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Germany / 2016 / GrD 29 / LC 09488 / GEMA