Review | By Wolfgang Fuchs
freiStil – Magazin für Musik und Umgebung / #92
Enrico Coniglio | TEREDO NAVALIS
Various Artists | Next City Sounds: Interfaces
Various Artists | un|sounding the self — a portrait

 

Spannungsfeldaufnahmen – Neues von Gruenrekorder
Hier handelt es sich ja nicht um die ersten Auseinandersetzungen mit Tonträgerinnen aus dem Hause gruenrekorder. Dennoch seien an dieser Stelle ein paar grundlegende Ideen erlaubt. Alleine der Labelname eröffnet schon eine ganze Fülle an Gedanken- und Sinneswelten. Das “gruen” könnte einen Aspekt von Ambient im Sinne einer Alltagsklangkulisse suggerieren, eine gewisse Sanft- und Entspanntheit im Umgang mit Aufnahmetechniken, eine Idealvorsellung von Natur als Ausgangspunkt und mittlerweile krassem Kontrast zu unserer hochent- und verwickelten Welt etc. In direkter Verbindung mit dem “rekorder” schummeln sich dann des weiteren ein paar Konzepte auf die imaginäre Lichtung, von wegen grüner, nachhaltiger oder sogar “neutraler” Fixierung von Klängen. Hier, am Übergang, am Grat zwischen Objektivierung und Subjektivierung von Schallereignissen agiert gruenrekorder. Im Spannungsfeld zwischen unbekümmertem Hinhören und avanciertem Selektieren, Verwerfen, Überlagern, Umschichten und schließlich Fixieren haben es sich zahlreiche AkteurInnen bequem und unbequem gemacht. Dementsprechend vielfältig gestaltet sich auch der Katalog von gruenrekorder. Von beinahe rohen Feldaufnahmen im Grätzl nebenan, bei deren Wiedergabe auf dem eigenen Heimsystem bei offenem Fenster die eine oder andere Fehllokalisierung von Sounds eintreten kann, bis hin zu komplexen sonoren Verzahnungen und Umerzählungen.

 

Enrico Coniglio veröffentlicht mit teredo navalis eine akustische Projektion der Lagune von Venedig auf CD-Format. Basierend auf field recordings aus dieser Region kreierte dieser Klangkünstler mehr als lediglich “sonic postcards”, sondern einen Zwischenbericht von Forschungsaktivitäten in diesem fragilen Ökosystem zwischen “unberührter” Natur und den durch Menschen verursachten Dauerstörungen. Verschiedenste Mikrofonierungen über und unter Wasser ermöglichen dieses Eintauchen in einen facettenreichen Klangkosmos.

 

Next City Sounds: Interfaces wiederum ist als Momentaufnahme eines Events in und um das ZKM Karlsruhe entstanden. Die auf der vorliegenden CD kondensierten Klänge speisen sich aus field recordings (Lasse-Marc Riek), Synthesizer/Elektronik (Lintu + Røyks), ätherischen Rauschflächen und Feedback (No Input Ensemble) und den Stimmen einer partizipativen Sprechperformance der Gruppe KITeratur. Das dabei entstandene experimentelle Hörstück bewegt sich im offenen Feld zwischen Ambient (auch unter dem Aspekt Drone), Musique Concrète und anderen Ausprägungen zeitgemäßer und gehobener Klangkunst.

 

Einen Schritt weiter in Richtung einer Entschleunigung und Ausdünnung des am Ohr angelegten Informationsschwalls geht un|sounding the self – a portrait. Dieses auf DVD gebannte audiovisuelle Portrait der beiden US-amerikanischen Künstler Christopher Shultis & Craig Shepard ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Triade composing-performing-listening und vor allem mit deren wechselseitigen Beziehungen, Abhängigkeiten und Alleinstellungsmerkmalen. Nicht von ungefähr kommt die Pionierarbeit von John Cage ins Spiel, hat jener viel zitierte und bemühte Universalkünstler doch mit wesentlichen Fragen zu unserer (menschlichen) Rolle in einem alle Sinne umfassenden Kosmos unzählige Diskurse angestoßen. Eine erfreuliche Auflösung vieler Problemstellungen und Anhandlungen ist aber auch in diesem Fall die Einsicht, dass keine Hörefahrung mit einer anderen ident sein kann. Niemand kann beispielsweise seine/ihre akustischen Eindrücke eines Spaziergangs durch einen Park in der individuell erlebten Breite und Tiefe einer anderen Person zur Gänze nachvollziehbar vermitteln. Die eigenen Trittgeräusche, als eine Soundspur von vielen, bleiben immer die eigenen, die sonst niemand reproduzieren kann. Was schon passieren kann, ist das Versinken in einem einstündigen audiovisuellen Machwerk (Regie: Christoph Collenberg) als eine von vielen Möglichkeiten, sich dem Phänomen der Kontemplation und deren Wirkmacht aus einer weiteren Perspektive nähern zu können. “There’s no one left to tell you what to do. Just watch this film but if it tries to give you advice, ignore it. After the end get up and listen around, see if the world sounds any different. No time with silence is wasted time. (…)”